Als ich Margot Friedländer zum ersten Mal sah, wusste ich nicht, wer diese zierliche Dame war, die den Raum betrat. Erst als sie anfing, ihre Geschichte zu erzählen, verstand ich, dass wir hier nicht nur eine Überlebende vor uns hatten, sondern eine Frau, die trotz aller erlebten Schrecken ihre Menschlichkeit bewahrt hatte.

Am 11. September hatte das Otto-Nagel-Gymnasium die Ehre, eine außergewöhnliche Zeitzeugin begrüßen zu dürfen: Margot Friedländer, 102 Jahre alt, teilte ihre eindrucksvolle Lebensgeschichte mit unseren Schülerinnen und Schülern.

Margot Friedländers Geschichte beginnt in Berlin, wo sie 1921 als Tochter von Artur und Auguste Bendheim in einer jüdische Familie geboren wurde. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Ralph lebte sie in Berlin-Kreuzberg. Als sich die Lage für die jüdische Bevölkerung  unter dem Regime von Adolf Hitler dramatisch verschlechterte, planten sie die Flucht. Doch bevor es dazu kommen konnte, wurde die Familie von der Gestapo entdeckt.

Als Margot Friedländer nach Hause zurückkehrte, war die Wohnung versiegelt. Von Nachbarn erfuhr die 21-Jährige, dass sich ihre Familie der Gestapo gestellt hatte. Die letzten Worte ihrer Mutter, „Versuche, Dein Leben zu machen“, prägten Margot Friedländers Leben und begleiteten sie auf ihrem Weg in den Untergrund. Später stellte sich heraus, dass ihre Mutter und ihr Bruder im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden waren.

Unter falschem Namen, mit gefärbten Haaren und ohne den Judenstern suchte sie in den Straßen Berlins nach Verstecken, immer auf der Flucht vor den Nazis. Doch im Frühjahr 1944 wurde sie schließlich verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort erlebte sie die Grausamkeit der Nationalsozialisten hautnah. Im Februar 1945, als die Rote Armee näher rückte, versuchte das NS-Regime, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. In Theresienstadt kamen Waggons mit Häftlingen aus Auschwitz an. Fast alle der Insassen waren bereits tot. Die Lebenden waren kaum von den Toten zu unterscheiden“, erinnert sich Margot Friedländer.

Nach dem Krieg wanderte Margot Friedländer in die USA aus, doch ihre Geschichte ließ sie nicht los. Mit über 80 Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück, um als Zeitzeugin die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und zukünftige Generationen zu warnen. „Was geschehen ist, können wir nicht ändern“, sagt sie, „aber wir können dafür sorgen, dass es nie wieder passiert.“

Zum Abschluss nahm sie sich die Zeit, mit den einzelnen Schülerinnen und Schülern persönlich zu sprechen und weitere Fragen zu beantworten. Darüber hinaus erhielten wir die besondere Ehre, einen Teil ihrer Geschichte in Form eines signierten Exemplars ihres Buches „Versuche, dein Leben zu machen: Als Jüdin versteckt in Berlin“ mit nach Hause zu nehmen.

Eines war Margot Friedländer besonders wichtig: “Seid menschlich.”

Ihr Besuch war ein eindringlicher Appell an uns alle. Er zeigt, wie wichtig es ist, Menschlichkeit, Toleranz und Zivilcourage zu bewahren und uns für die Werte einzusetzen, die unser Zusammenleben ausmachen. Als Schule haben wir uns verpflichtet, ihre Botschaft weiterzutragen und für eine Zukunft einzustehen, in der Respekt und Mitmenschlichkeit im Vordergrund stehen.

Zum Dank überreichten wir Frau Friedländer eine besondere Zeichnung einer unserer Schülerinnen, inspiriert von dem Werk „Asylist“ unseres Namensgebers Otto Nagel, der sich für die Schwachen und Ausgegrenzten der Gesellschaft einsetzte. Wir sind ihr zutiefst dankbar für ihren Besuch und die wertvolle Erinnerung daran, was es bedeutet, menschlich zu sein.

Sofia U., Schülerin der 10.2