Wir, die IG Friedenstaube, hatten am 25.02.2020 die fast einmalige Chance, Giesela Stiller (geb. 1928) – eine Zeitzeugin des Nationalsozialismus – an unserer Schule begrüßen zu dürfen.
Frau Stiller erzählte uns offen aus Ihrem Leben: Als Tochter einer streng katholischen Arbeiterfamilie lebte sie gemeinsam mit Ihrer Familie in der kleinen Stadt Nordhausen im Thüringer Harz. Ihr Vater diente im Ersten Weltkrieg. Nach seiner Freilassung aus der französischer Kriegsgefangenschaft schloss er sich als entschiedener Gegner des Versailler Friedensvertrag der NSDAP an.
Frau Stiller erzählte uns, wie Sie im nationalsozialistischen System sozialisiert wurde und so auch dem Bund Deutscher Mädel angehörte. Jeden Sonntag marschierte sie als Teil der Hilterjugend in Uniform durch das Dorf.
‘Das machte was her, wenn die Hitlerjugend aufmarschierte.’ (Sinngemäßes Zitat)
Der einheitliche Schritt und der stolze Auftritt schuf Eindruck. Vor 1939 war Ihre Jugend unbeschwert. Das sollte sich mit Kriegsbeginn ändern. Sie selbst spiegelt die Rede Hilters am 1. September 1939 als das einschneidendste Erlebnis Ihres jungen Lebens.
‘Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!’ (Adolf Hitler)
Dieses Zitat begleitet Frau Stiller bis heute.
Ihr Vater wurde erneut an die Front geordert. Aufgrund seines Alters konnte er jedoch bereits nach einigen Monaten zu seiner Familie zurückkehren.
Eines Morgens hallten im Dorf die Schritte einer marschierenden Menge. Doch dieses Mal war es nicht die Hitlerjugend. Stattdessen erblickten die Bewohner eine schier endloser Zug ausgehungerter Menschen in gestreiften Uniformen. Dieses Schlüsselerlebnis ist Frau Stiller bis heute glasklar in Erinnerung geblieben.
Das Konzentrationslager (KZ) Mittelbau-Dora wurde errichtet. Hier versuchten die Nazis eine neuartige Rakete – die V2 – zu bauen. In diesem Zusammenhang wurden hochrangige Personen in dem Haus der Familie Stiller einquartiert. Diese freundeten sich mit der Familie Stiller an und so wusste Frau Stiller aus erster Hand, unter welchen Bedingung im Bergwerk unter dem Kohnstein gearbeitet wurde. Besonders folgende Aussage veränderte Ihre Sicht auf das nationalsozialistische Regime:
‘14 Tage im Bergwerk und du bist kein Nationalsozialist mehr.’
Das Konzentrationslager, die Kriegsgefangenenlager und die Deportation von Schulfreunden veränderten Frau Stillers Sicht auf das NZ-Regime nachhaltig: “Wenn man einmal dieses Elend gesehen hat, ist man kein Nazi mehr.”
Besonders berührte uns eine Geschichte über Ihren kleinen Bruder:
Der kleine Junge war fasziniert von dem Holzspielzeug, das ungarische Häftlinge geschnitzt hatten. Die ausgehungerten Zwangsarbeiter schlugen ihm einen Tausch vor: Kartoffeln gegen das Spielzeug. Das tat der kleine Junge. Als die Familie darauf aufmerksam wurde, bekamen sie große Angst. Es war streng verboten, mit KZ Insassen zu sprechen, geschweige denn ihnen Essen zu bringen.
Frau Stiller erzählte uns von den Bomben, die Ihre Heimat zerstörten, von der Besatzung durch die Amerikaner und dem Leben in der russischen Zone. Abschließend rief sie uns alle zur Wachsamkeit auf. Wir sollen stets Interesse an unserer politischen Lage zeigen und über unsere Welt Bescheid wissen, damit wir nie wieder in eine Diktatur abrutschen. Alle Menschen sind gleich und alle Menschen haben das Recht, in Frieden auf unserer geteilten Erde zu leben.
Wir danken Frau Stiller und der Friedensglockengesellschaft e.V. für diese Möglichkeit.
IG Friedenstaube