Im Rahmen des Holocaustprojekts der 9. Klassen besuchte eine Schülergruppe die Gedenkstätte Sachsenhausen. Einer der Teilnehmer schildert hier eindrücklich seine Eindrücke und gibt die Informationen der Führung wieder. Die Redaktion hat den Text leicht sprachlich bearbeitet. Inhaltlich gibt er die persönliche Auseinandersetzung eines Schülers mit dem historischen Ort wieder.
Nie wieder ist jetzt.
Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen
Ein Erfahrungsbericht im Rahmen des Holocaustprojekts der 9. Klassen
200.000 Häftlinge. 50.000 Tote.
Appellplatz, Baracken, Schulungsgebäude der SS, SS-Casino.
Medizinische Experimente, Isolationshaft, Zwangsarbeit, Gaskammern, Todesmärsche.
Am 17. Juni 2025 besuchten wir im Rahmen des Holocaustprojekts das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg. Die Exkursion machte deutlich, wie grausam und unmenschlich das System des Nationalsozialismus war – und wie gefährlich politische Entwicklungen sind, die Menschen ausgrenzen.
Was als ideologische „Politik für das Deutsche Reich“ begann, endete in einem Weltkrieg, dem Holocaust an sechs Millionen Juden und in Menschheitsverbrechen, die bis heute nachwirken. Wenn wir zulassen, dass grundlegende Werte relativiert und rote Linien verschoben werden, dann rückt das Unrecht näher.
Nie wieder ist jetzt.
Der Ort spricht
Im Folgenden schildere ich Eindrücke und Informationen aus der Führung, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind und die beklemmende Wirkkraft des Ortes verdeutlichen:
Das Gelände war einst vielfältig genutzt: Ein ehemaliges SS-Schulungsgebäude wird heute von der Brandenburger Polizei verwendet, ein Casino diente der „Freizeit“ der SS-Truppen, und ein zu DDR-Zeiten erbautes Gebäude wurde als kleines Museum eingerichtet. Dahinter beginnt der eigentliche Lagerbereich.
Über dem Eingangstor ist der zynische Spruch „Arbeit macht frei“ angebracht – eine bewusste Täuschung gegenüber den Häftlingen, als gäbe es einen Ausweg durch harte Arbeit. Das Eingangsgebäude selbst ist so konstruiert, dass von den Fenstern aus direkt auf den Appellplatz geschossen werden konnte.
Der Appellplatz
Auf dem Appellplatz mussten sich die Häftlinge jeden Morgen versammeln. Sie wurden gezählt, Tote identifiziert und Fluchtversuche (von denen kein einziger dokumentiert ist) ausgeschlossen. An einem besonders grausamen Tag ließen die SS-Wachen die Häftlinge bei –17 °C zwölf Stunden lang auf dem Platz stehen – ohne Schutz, ohne Nahrung, ohne Bewegung. Viele erfroren oder wurden bei kleinster Bewegung erschossen.
Die Schuhprüfstrecke
In einem Halbkreis auf dem Appellplatz befanden sich unterschiedliche Untergründe, auf denen Gefangene neue Schuhe testen mussten – stundenlang, unter strengster Aufsicht. Täglich legten sie etwa 42 Kilometer zurück – die Strecke eines Marathons. Ein SS-Kommandant schrieb, dass unter seiner Aufsicht kein Häftling weniger als zwölf Stunden täglich marschierte.
Krankenstation und „medizinische Versorgung“
Links vom Appellplatz lag die sogenannte Krankenstation. Doch medizinische Hilfe war dort kaum zu finden. Stattdessen fanden dort menschenverachtende Experimente statt – etwa zur Testung von Typhusimpfstoffen oder zur angeblichen Erforschung der „jüdischen Rasse“. Die angrenzende Pathologie diente nicht dem würdevollen Umgang mit Toten, sondern war Ort zynischer „Untersuchungen“.
Die Baracken
Rechts des Appellplatzes lagen die Baracken – heute stehen nur noch drei davon. In jedem Schlafsaal waren bis zu 300 Häftlinge untergebracht, obwohl sie nur für etwa 150 Personen ausgelegt waren. Im Winter war es bitterkalt, im Sommer stickig und heiß. In den Waschräumen kam es zu Übergriffen durch Mitgefangene – und vor allem zu Folter durch die SS. Gefangene wurden etwa in Toilettenbecken ertränkt. In der sogenannten „Besenkammer“ wurden regelmäßig bis zu 30 Menschen eingesperrt – ohne Sauerstoff, ohne Platz. Viele erstickten oder brachen in Panik zusammen.
Tötungsanlagen
Im hinteren linken Teil des Lagers befanden sich die Gaskammern, Krematorien und eine Genickschussanlage, in der mindestens 13.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden. In diesen Räumen war das Ausmaß der Gewalt förmlich spürbar.
Wir alle schwiegen, als wir sie betraten – aus Respekt und Scham.
Befreiung und Todesmärsche
Am 22. April 1945 wurde das Lager von sowjetischen und polnischen Truppen befreit. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch nur noch Kranke, Ärzte und Pfleger im Lager. Die übrigen Häftlinge wurden von der SS zuvor zu sogenannten Todesmärschen gezwungen. Dabei starben etwa 30.000 Menschen – an Hunger, Erschöpfung oder durch Erschießung.
Selbst die Überlebenden waren nie wirklich frei: Viele litten lebenslang an den Folgen der Haft. Einige starben, weil ihre Körper keine normale Nahrung mehr aufnehmen konnten.
Nach dem Krieg: kein Schlussstrich
Auch nach 1945 wurde die Geschichte des Lagers nicht direkt aufgearbeitet. Die Sowjets übernahmen das Gelände und nutzten es bis in die 1950er Jahre als Gefängnis – unter ähnlichen Bedingungen wie zuvor die Nazis. Erst in den 1960er Jahren wurde in der DDR eine Gedenkstätte eingerichtet, die allerdings stark von sozialistischer Propaganda geprägt war. Sie feierte die DDR mehr, als dass sie das nationalsozialistische Grauen wirklich darstellte.
Schlusswort
Der Besuch in Sachsenhausen war bedrückend – aber auch notwendig. Er hat gezeigt, wie wichtig Erinnerung ist.
Nie wieder ist jetzt.