Im Rahmen des Geschichtsunterrichts widmete sich unsere Klasse 9.2 der eingehenden Analyse von „Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945“ von Marie Jalowicz Simon. Das Buch schildert die bewegende Geschichte der jungen Jüdin Marie Simon, geboren am 4. April 1922 in Berlin als Marie Jalowicz, die während der nationalsozialistischen Herrschaft in Berlin untertauchte, um sich zu retten. Bis 1945 gelang es ihr, dank der Hilfe anderer Menschen zu überleben, und sie gehörte zu den etwa 1500 jüdischen Menschen, die den Holocaust im Berliner Untergrund überstanden. Nach dem 8. Mai 1945 blieb sie in Berlin und heiratete 1948 ihren Jugendfreund Heinrich Simon. Heinrich Simon und Marie Simon machten in der DDR Karriere und waren auch international ein bekanntes und präsentes Wissenschaftlerpaar. Simons Spezialgebiet war die Philosophie der Antike. Heinrich Simon war Professor für Hebräisch und arabische Philosophie. Marie Simon begleitete eine Professur für Antike Literatur- und Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität. Oftmals forschten sie gemeinsam, insbesondere zur jüdischen Philosophie der Antike. 1987 wurde Marie Simon mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet. Sie verstarb am 16. September 1998 und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.
Nach ihrem Tod wurde Marie Simon durch ihren Sohn, den Politiker Hermann Simon, als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Über seine Mutter berichtete Hermann Simon, dass sie lange Zeit über ihre Überlebensgeschichte während der nationalsozialistischen Herrschaft schwieg. Erst kurz vor ihrem Tod gelang es ihm, ihre Erinnerungen daran auf Tonband aufzunehmen. Am 26. Dezember 1997 stellte er ein Aufnahmegerät auf den Tisch der elterlichen Wohnung mit den Worten: „Du wolltest doch immer deine Geschichte erzählen.“ Offen und schonungslos schilderte seine Mutter, was es bedeutete, Tag für Tag im nationalsozialistischen Berlin um ihr Leben kämpfen zu müssen. Am 4. September 1998, kurz vor ihrem Tod, entstand die letzte von 77 Tonbandkassetten. Die 77 Tonbänder ergaben ein Transkript von 900 Seiten, die lange Zeit der Bearbeitung benötigten. Auf der so entstandenen Grundlage von 75 Stunden erstellten die Schriftstellerin und Journalistin Irene Stratenwerth und Hermann Simon das Buchmanuskript. Das Buch „Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945“ erschien erstmals 2014 im S. Fischer Verlag, erlangte sofort eine hohe Aufmerksamkeit und konnte sogar ein internationales Echo erreichen. Mehrere Übersetzungen des Buches sind bereits erschienen.
Auch unsere Klasse war tief von den authentischen Schilderungen und der bemerkenswerten Widerstandskraft der jungen Marie Simon bewegt. Ihre Erzählung entführte uns in die bedrohlichen Straßen des nationalsozialistischen Berlins. Durch Marie Simons Augen erlebten wir ihre ständige Angst vor Entdeckung, ihre unermüdliche Entschlossenheit und ihren unerschütterlichen Überlebenswillen. Ihre Zufluchtsorte und die Menschen, die ihr halfen, zeichnen ein vielschichtiges Bild von Menschlichkeit und Widerstand. Die Analyse dieses Buches ermöglichte es uns, tief in die historische Realität des Holocaust und des Widerstands einzutauchen. Wir erfuhren nicht nur von den großen historischen Ereignissen, sondern auch von den oft übersehenen Geschichten des Überlebens und der Solidarität. „Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945“ ist mehr als ein historisches Dokument. Es ist ein bewegendes Zeugnis der Widerstandskraft und des Mutes einer jungen Frau. Marie Simons Geschichte erinnert uns daran, dass selbst in den dunkelsten Zeiten das Licht des menschlichen Geistes leuchtet. Ihre Worte hinterließen einen bleibenden Eindruck und fordern uns auf, die Lehren der Vergangenheit niemals zu vergessen. Die intensive Beschäftigung mit dem Buch vermittelte uns nicht nur historisches Wissen, sondern vertiefte auch unsere Empathie und unser Verständnis für komplexe menschliche Schicksale.
Der Höhepunkt unserer Arbeit mit dem Buch war jedoch die Möglichkeit, den Sohn von Marie Simon, Hermann Simon, im Rahmen der Kulturtage bei uns im ONG zu begrüßen. Hermann Simon ist Historiker und Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum, die sich der Pflege und Bewahrung jüdischer Kultur widmet. Er leitete die Stiftung von 1988 an fast 30 Jahre und prägte sie mit seinem unermüdlichen Einsatz maßgeblich. Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte und ihre Vermittlung an andere wurde für Hermann Simon zur Lebensaufgabe. In zahlreichen Publikationen beschäftigt er sich insbesondere mit der Geschichte von Juden in Deutschland. Für sein vielfältiges Wirken wurde Hermann Simon mehrfach ausgezeichnet. 2015 erhielt er den Verdienstorden des Landes Berlin, 2018 die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, 2020 den Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin und 2023 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Auch heute noch, im Alter von 75 Jahren, ist Hermann Simon aktiv und engagiert, indem er seine Lebensaufgabe, die Erforschung der jüdischen Geschichte und der jüdischen Kultur, weiterführt.
Während seines Vortrags gab uns Herr Simon Einblicke in das Leben seiner Mutter und die Entstehung des Buches. Er berichtete von den Schwierigkeiten und Gefahren, denen seine Mutter ausgesetzt war, und den unglaublichen Menschen, die ihr halfen. Zudem erzählte er von der Entschlossenheit seiner Mutter, ihre Geschichte wahrheitsgetreu festzuhalten. Sie betonte, dass sie nur sprechen würde, wenn sie die ganze Wahrheit sagen könne; andernfalls würde sie schweigen. Der persönliche Bezug ihres Sohnes zur Geschichte und seine Fachkenntnisse bereicherten unser Verständnis enorm.
Unser Projekt brachte uns nicht nur die Geschichte einer jungen Jüdin näher, sondern betonte auch die Bedeutung der Erinnerung und der historischen Bildung. Wir erfuhren, wie wichtig es ist, diese Geschichten weiterzugeben und aus der Vergangenheit zu lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Für unser Jahrbuch ist dies nicht nur ein Bericht über ein Schulprojekt, sondern ein Beweis dafür, wie Geschichte lebendig wird und uns prägt.
Wir danken Herrn Vasos, Frau Platonova und Frau Zimmermann für diese einzigartige Erfahrung, uns Geschichte näherzubringen und ein so interessantes Treffen zu ermöglichen.
Evelyn Schindel, Klasse 9.2